Wer in Pusack, im südöstlichsten Zipfel Brandenburgs über die Neiße auf die polnische Seite blickt, erkennt zwischen den Bäumen eine Fabrikruine. Wie groß das Fabrikgelände tatsächlich ist, erschließt sich dem Betrachter erst bei einer Vor-Ort-Besichtigung in Zarki Wielkie (Groß Särchen). Neben weiteren Gebäuden stehen hier auch die Reste des einst modernsten Kraftwerk Deutschlands.
Bereits im 15 Jahrhundert stand am rechten Neißeufer eine Mühle. Mehrmals wechselte die Wassermühle mit 3 Mahlgängen, einer Schneidemühle und einem Ölschlag mit Stampfer den Besitzer. Im 19. Jahrhundert wurden umfangreiche Vergrößerungsbauten durchgeführt und eine Wollspinnerei mit Tuchwalke sowie eine Holzschleiferei errichtet.
1889 begann der Aufbau einer Pappenfabrik und einer Holzschleiferei mit Dampfantrieb. Richard Nabbat wurde Generaldirektor der „Groß-Särchner Holzstoff-und Lederpappenfabriken, Kunstmühlen Aktiengesellschaft, vorm Noack & Brade“, die 1990 in „Norddeutsche Lederpappenfabriken A.G.“ umbenannt wurde. Ein Großfeuer 1896 und das Neiße-Hochwasser 1897 zogen Mühle und Fabrik arg in Mitleidenschaft. Alle Vorräte wurden vernichtet, die Produktionsanlagen stark beschädigt. Noch im selben Jahr wurde ein neuer Betriebsteil mit einer modernen Kartonmaschine eingeweiht. Der Mühlenbetrieb wurde eingestellt.
Das Werk erhielt in den Folgejahren eine eigene elektrische Schmalspurbahn mit Anschluß an den Bahnhof Teuplitz. Für den Transport der Waren von und zum Bahnhof wurde eine feuerungslose Dampflok – im Volkmund „Karnickelbock“ genannt – angeschafft, die täglich bis zu 40 Eisenbahnwagen transportierte. Für den innerbetrieblichen Transport reichte die elektrische Bahn.
1919 wurden ein neues Stauwehr und ein Turbinenhaus errichten. Noch heute ist an der südwestlichen Seite des Turbinenhauses die Jahreszahl 1919 zu lesen.
1923 erfolgte die Umbenennung in „Kartonpapierfabriken — Aktiengesellschaft“, kurz Kapag. Vorstandsmitglied und Technischer Direktor war Georg Endler. Unter seiner Führung wurde das Werk in großen Schritten weiter ausgebaut und gelangte zu weltweiter Bedeutung. Durch Modernisierung dreier Kartonmaschinen wurde 1929 erstmalig eine Tagesproduktion von 100 Tonnen Karton und Papier erreicht. In den Folge-Jahren verließen u.a. Maschinenlederpappen, Holzkarton, gewellte Bahnpappen und geklebte Bauplatten die Fabrik. Rohstoffbasis war Altpapier, brauner und weißer Holzstoff wurden im Werk hergestellt und veredelt. Auch die erste deutsche Holzfaser-Bauplatte („Kapag Isobau“) wurde in Groß Särchen hergestellt. Um die Energieversorgung des Werkes zu gewährleisten, wurde zusätzlich zur Wasserkraftanlage 1944 das bis dahin modernste Dampfkraftwerk Deutschlands in Betrieb genommen mit einer Turbinenleistung von 4800 Kilowatt.
Die Sozialleistungen der Kapag für die etwa 550 Betriebsangehörigen waren enorm. Es entstanden Eigenheime und Wohnungen für die Werksangehörigen, eine Werksküche mit warmen Mahlzeiten für die Tag- und Nachtschicht, eine Kantine sowie eine Schwesternstation. Um die Kinder- und Gesundheitspflege kümmerte sich ein Betriebsarzt. Seit 1927 waren alle Werksangehörigen an den Reingewinnen der Kapag beteiligt, zusätzlich gab es eine betriebliche Altersvorsorge.
Nur wenige Monate nach Einweihung des neuen Kraftwerkes kam mit dem Ende des 2. Weltkrieges auch das Aus der Kapag. Die sowjetischen Truppen demontierten die Fabrik restlos. Übrig blieben leere Hallen, die im Laufe der Jahrzehnte den Verfall preisgegeben wurden. Stück für Stück erobert sich nun die Natur das Gelände der Kapag zurück. Heute zeugen nur noch die Ruinen von einer einst bedeutenden Vergangenheit.
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