Immer wieder kommt es wegen kleiner Lappalien zu Grenzstreitigkeiten zwischen Nachbarn, nicht selten enden diese in kriegerischen Auseinandersetzungen. Dann ist die Diplomatie gefordert. Wie die Geschichtsbücher zu berichten wissen, kam es auch in unserer Gegend Mitte des 18. Jahrhunderts wegen eines kaputten Zaunes zu diplomatischen Verwicklungen.
Zwischen dem heutigen brandenburgischen Pusack und dem sächsischen Köbeln verlief damals die Grenze zwischen den Markgraftümern Nieder- und Oberlausitz, beide zu Kursachsen zugehörig. Der Föhrenfließ, auch als Lachgraben bekannt, bildete dabei eine natürliche Grenzmarkierung. Das 11 km lange Flüsschen mündet – von Klein Düben, Tschernitz, Wolfshain kommend – nahe dem Naturschutzgebiet „Zerna“ in die Neiße. Das Mündungsgebiet des Föhrenfließes gehörte einst zur Flur Groß Särchen in der Herrschaft Sorau/Triebel. Standesherr war Erdmann II. Graf von Promnitz.
Der Amtmann Georg Christoph Schödel aus Triebel (Trzebiel) kam 1730 auf die verhängnisvolle Idee, den Lauf des Föhrenfließes zu verändern. Dazu wurde der kleine Bach eingedämmt und über einen neuen Graben umgeleitet. Die Ausführung war jedoch stümperhaft, der Föhrenfließ staute sich an und verwässerte und versumpfte die angrenzenden Wiesen.
Beim Wirtschaftsamtmann Dutschke der Standesherrschaft Muskau beschwerten sich deswegen die Köbelner Bauern. Dutschke schickte einen Beschwerdebrief nach Triebel. Als von dort keine Reaktion kam, beschwerten sich die Köbelner im nächsten Frühjahr erneut im Muskauer Amtshaus. Jetzt kam Bewegung in die Angelegenheit. Bei einer Vor-Ort-Begehung wurde den Bauern Recht gegeben und dem Amtmann Schödel angedroht, sich bei höherer Stelle zu beschweren, wenn den Bauern nicht zu ihrem Recht verholfen werde.
Schödel wiegelt ab und behauptet, daß der hohe Wasserstand der Neiße der Grund dafür ist, daß der Föhrenfließ nicht abfließen könne. Außerdem hätte er bemerkt, daß der Köbelner Zaun auf Groß Särchener Grund und Boden stünde und dieser an seine ursprüngliche Stelle zurückversetzt werden müsse.
In der Folge entwickelte sich eine heikle Staatsangelegenheit. Schödel behauptet, die Muskauer Standesherren hätten versucht, die Niederlausitz zugunsten der Oberlausitz zu schmälern. Alte Landkarten und Akten wurden gewälzt, zwischen den Kanzleien in Triebel und Muskau flatterten amtliche Schreiben hin und her. Schließlich zeigt der entnervte Sorauer Standesherr Johann Erdmann Graf von Promnitz seinen Gegenspieler Johann Alexander Graf von Callenberg, Standesherr zu Muskau, bei der Oberamtsregierung des Markgrafentums Niederlausitz in Lübben an. Von dort wandert die angezeigte eigenmächtige Abänderung der Landesgrenze an die Kanzlei des Herzogs Heinrich von Sachsen-Merseburg, dem Landesherrn der Niederlausitz.
Eine Kommission wird gebildet, bestehend aus einem promnitzschem Jäger, dem Dorfschulzen, einem Gerichtsmann und einem Bauern. An Ort und Stelle soll der exakte Grenzverlauf überprüft werden. Doch keiner der „Experten“ kann genau sagen, wo einst die Grenze wirklich verlief. Die Flurkarten waren ungenau, persönliche Erinnerungen lückenhaft. Es könne jedoch tatsächlich so sein, daß der Grenzzaun um 3-5 Schritt auf Niederlausitzer Territorium verschoben wurde.
Inzwischen dauert die Angelegenheit schon 6 Jahre und hat allerhöchste Stellen erreicht. Der Merseburgische Herzog, Markgraf der Niederlausitz, fordert die Geheimen Räte des Friedrich August von Sachsen auf, „sie mögen doch dem Grafen Callenberg kundzutun, dass er seinen Untertanen befehlen solle, den Zaun wieder an die ursprüngliche Stelle zu befördern.“ Callenberg ist wütend und bezeichnet die Forderung als ein „ungegründetes und — soviel ihm bekannt – wider die Wahrheit laufendes Memorial.“ Am 13. April 1736 besichtigen die Muskauer Herren die Grenze und müssen feststellen, daß die paar gefundenen Hölzer weder für einen alten noch für einen neu gesetzten Zaun angesehen werden können. Die Gräflich Promnitzschen Beamten sollten sich schämen, „wenn sie bei diesen augenscheinlichen Umständen vorgeben wollten, daß der Zaun neuerlich gesetzt sein soll.“ Die Sorauer Herrschaft solle doch endlich beweisen, wo der Zaun ursprünglich gestanden habe und um wieviel er verrückt worden sei, „widrigenfalls bleibt es eine selbst ersonnene, unverantwortliche nachbarliche Zunötigung“.
Graf von Callenberg schreibt an seinen Kurfürsten von Sachsen und König von Polen Friedrich August, und bittet „allergnädigst zu geruhen, dem Herrn Grafen von Promnitz in hohen Gnaden bescheiden zu lassen, daß er von dergleichen ungegründeten Klagen und Zunötigungen absehen oder vor dem Oberamt zu Bautzen sein Recht beweisen solle“.
Mit diesem Machtwort kehrt endlich Ruhe ein im Streit um einen alten Grenzzaun, der einst die Niederlausitz von der Oberlausitz trennen sollte. Heutzutage existieren sowohl Nieder- als auch Oberlausitz verwaltungstechnisch nicht mehr als Einheit. Nur der Föhrenfließ plätschert weiter friedlich entlang der Ländergrenze von Brandenburg zu Sachsen vor sich hin. Daß er einstmals Ausgangspunkt für diplomatische Verwicklungen war, wissen nur noch die Geschichtsbücher.
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